Frankfurt, 28. Februar 2015
Im Jahr 2012 wurde Ziffer 5.4.1 Absatz 4 bis 6 in den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) neu eingefügt. Die Regelung ist geprägt von zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen und anderen Unklarheiten. Zusammen mit der Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit von Wahlbeschlüssen der Hauptversammlung führt dies zur erheblichen neuen Anfechtungsrisiken.
Es stellen sich insbesondere die Fragen, nach dem Ort und dem Zeitpunkt sowie der Art und Weise der Offenlegung. Die Empfehlung zur Offenlegung von persönlichen und geschäftlichen Beziehungen der zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidaten wurde mit Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 15.6.2012 wirksam. Dabei stellt sie Rechtsanwender aufgrund der Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe vor eine besondere Herausforderung. Die Rechtsunsicherheit in Folge der Empfehlung muss mittels Auslegung und Konkretisierung geschlossen werden. Werden Kodexempfehlungen, welche die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrates durch die Hauptversammlung betreffen, nicht eingehalten und wird dadurch die Entsprechungserklärung unrichtig, so sollen nach zwei instanzgerichtlichen Entscheidungen die Wahlbeschlüsse zum Aufsichtsrat anfechtbar sein. Die Angelegenheit wird erdrückender, wenn man sich die Rechtsprechung des BGH zu den Rechtswirkungen der Anfechtung einer Aufsichtsratswahl der Hauptversammlung vor Augen hält. Danach ist nämlich ein Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl erfolgreich angefochten worden ist, für die Zwecke der Stimmabgabe und der Beschlussfassung im Aufsichtsrat von vorneherein (ex tunc) wie ein Nichtmitglied zu behandeln. Aufgrund dieser gravierenden Folgen wird zum Teil diskutiert, ob pauschal eine Abweichung erklärt werden sollte.
Zunächst ist zu erörtern, wann die Offenlegung zu erfolgen hat. Der Wortlaut von Ziffer 5.4.1 Absatz 4 DCGK gibt den Hinweis, dass die Offenlegung „bei seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung“ erfolgen soll. Dies kann sowohl zeitlich als auch örtlich zu verstehen sein. Der DCGK enthält diesbezüglich keine Vorgaben. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass die Offenlegung weder in der Hauptversammlungseinladung noch in der Mitteilung gemäß § 125 Absatz 1 AktG erfolgen muss. Es reicht aus, wenn eine Veröffentlichung auf der Internetseite der Gesellschaft nach der Einberufung der Hauptversammlung erfolgt. Damit wird an die Vorschrift § 124a AktG angelehnt.
Hinsichtlich der Offenlegung persönlicher Beziehungen sollte eine nicht allzu enge Grenze gezogen werden. Neben Verwandtschaftsverhältnissen sind auch sonstige enge persönliche Näheverhältnisse offenzulegen. Flüchtige Bekanntschaften hingegen nicht.
Diskutiert wird auch, ob mittelbare persönliche und geschäftliche Beziehungen auf Seiten des Kandidaten sind ebenfalls erfasst werden. Dies hätte zur Folge, dass auch Beziehungen von Dritten zum Unternehmen, den Organen der Gesellschaft oder einem wesentlich an der Gesellschaft beteiligten Aktionär, soweit der Kandidat in einem Näheverhältnis zu diesen Dritten steht, offenzulegen sind. Die überwiegenden Argumente, darunter auch die Systematik der neu eingefügten Ziffer 5.4.1 Absatz 4 bis 6 DCGK, sprechen dagegen. Diese mittelbaren Beziehungen sind nicht offenzulegen.
Der Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine Beziehung offenzulegen ist, ist der Tag der Wahl. Der Wortlaut Ziffer 5.4.1 Absatz 4 DCGK gibt diese Stichtagslösung her. Der Sinn und Zweck der Offenlegungsempfehlung ist es, die Aktionäre darüber zu informieren, welche möglichen Interessenskonflikte Aufsichtsratskandidaten sie unterlägen, würden sie in der Aufsichtsrat gewählt werden. Dieser Ansatz bringt die Verpflichtung des Aufsichtsratskandidaten mit sich, notfalls mündlich Änderungen der Angaben in der Hauptversammlung offen zu legen.
Aktienbesitz des Aufsichtsratskandidaten von mehr als 1% sollte als geschäftliche Beziehung vorsorglich ebenfalls offengelegt werden.
Hinsichtlich des Umfangs der Offenlegung ist anzumerken, dass diese in der gebotenen Kürze, aber so informativ, dass es für die Wahlentscheidung eines objektiv urteilenden Aktionärs ausreicht, zu erfolgen hat. Bei persönlichen Beziehungen sind daher nur knappe Angaben erforderlich, bei geschäftlichen zumindest die wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii), davon vor allem aber Leistung und Gegenleistung. Der Umfang richtet sich nicht nach objektiven Kriterien, sondern ist maßgeblich von der Einschätzung des Aufsichtsrates abhängig. Das heißt nicht, dass die Ermessensentscheidung des Aufsichtsrates vollständig der gerichtlichen Überprüfung entzogen wird, sondern vielmehr dass sich die Überprüfbarkeit von Beurteilungsspielräumen darauf beschränkt, ob von einem ordnungsgemäß ermittelten Sachverhalt ausgegangen, Verfahrensvorschriften eingehalten und keine sachfremden Erwägungen herangezogen wurden.
Gelangt der Aufsichtsrat zu der Entscheidung, dass keine Offenlegung erforderlich ist, muss er keine Negativerklärung abgeben. Hat er hingegen Zweifel , ob und wie viel offenzulegen ist, so sollte er vorsorglich die Abweichung von dieser Empfehlung erklären.